Sonntag, 13. Februar 2005

Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Es ist kein besonderes Verdienst, sich den Mitmenschen gegenüber korrekt zu benehmen. Teresa muss sich den Dorfbewohnern gegenüber tadellos verhalten, weil sie sonst auf dem Dorf nicht leben könnte. Und sogar Tomas gegenüber muss sie sich liebevoll verhalten, weil sie ihn braucht. Man wird niemals mit Sicherheit feststellen können, inwieweit unsere Beziehungen zu anderen Menschen das Resultat unserer Gefühle, unserer Liebe, unserer Unliebe, unserer Gutmütigkeit oder Bösartigkeit sind, und inwieweit sie durch das Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Menschen festgelegt sind.
Die wahre menschliche Güte kann sich in ihrer absoluten Reinheit und Freiheit nur denen gegenüber äußern, die keine Kraft darstellen. Die wahre moralische Prüfung der Menschheit, die elementarste Prüfung (die so tief im Innern verankert ist, dass sie sich unserem Blick entzieht) äußert sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren. Und gerade hier ist es zum grundlegenden Versagen des Menschen gekommen, zu einem so grundlegenden Versagen, dass sich alle anderen aus ihm ableiten lassen.
(Siebter Teil, 2.)



Diese Liebe ist selbstlos: Teresa will nichts von Karenin. Nicht einmal Liebe fordert sie von ihm. Sie hat sich niemals die Fragen gestellt, von denen die Menschenpaare gequält werden: Liebt er mich? Hat er jemand anderen mehr geliebt als mich? Liebt er mich mehr, als ich ihn liebe? Möglich, dass all diese Fragen, die sich um die Liebe drehen, sie messen, erforschen, untersuchen und verhören, sie auch schon im Keim ersticken. Möglich, dass wir nicht fähig sind zu lieben, gerade weil wir uns danach sehnen, geliebt zu werden, das heißt: weil wir vom anderen etwas wollen (die Liebe), anstatt ohne Ansprüche auf ihn zuzugehen und nichts als seine Gegenwart zu wollen.
Und noch etwas: Teresa hat Karenin so akzeptiert, wie er ist, sie wollte ihn nicht nach ihrem Bilde verändern, sie war von vornherein mit seiner Hundewelt einverstanden und wollte sie ihm nicht wegnehmen, sie war nicht eifersüchtig auf seine heimlichen Neigungen. Sie erzog ihn nicht, um ihn zu verändern (wie ein Mann seine Frau und eine Frau ihren Mann verändern will), sondern nur, um ihm eine elementare Sprache beizubringen, die es ihnen ermöglichte, einander zu verstehen und miteinander zu leben.
[...]
Und vor allem: kein Mensch kann einem anderen Menschen die Idylle zum Geschenk machen. Das vermag nur ein Tier, weil es nicht aus dem Paradies vertrieben worden ist. Die Liebe zwischen Mensch und Hund ist idyllisch. Es ist eine Liebe ohne Konflikte, ohne herzzerreißende Szenen, ohne Entwicklung. Karenin umgab Teresa und Tomas, er war bei ihnen mit seinem Leben, das auf der Wiederholung begründet war, und er erwartete von ihnen dasselbe.
Wäre Karenin ein Mensch gewesen und nicht ein Hund, hätte er sicher schon längst zu Teresa gesagt: »Hör mal, es macht mir keinen Spaß mehr, jeden Tag ein Hörnchen in der Schnauze herumzutragen. Kannst du dir nicht etwas Neues einfallen lassen?« Dieser Satz enthält die ganze Verurteilung des Menschen. Die menschliche Zeit dreht sich nicht im Kreis, sie verläuft auf einer Geraden. Das ist der Grund, warum der Mensch nicht glücklich sein kann, denn Glück ist der Wunsch nach Wiederholung.
(Siebter Teil, 4.)

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