Tu net urassen!
Wie viele Wörter dem Wiener Dialekt jährlich sang- und klanglos abhanden kommen, weiß ich nicht; wenige dürften es nicht sein. Jedenfalls ist viel vom muttersprachlichen Wortschatz, den ich in meiner Kindheit erworben habe, nur noch in Dialekt-Lexika zu finden. Lauter schöne Wörter, die keiner mehr benutzt!
Zu einem guten Teil passiert diese „Verarumung” deshalb, weil es viel nicht mehr gibt, wofür der Wiener Dialekt ein passendes Wort parat hatte. Zu dem Kram, der sich heutzutage in einem Haushalt befindet, gehört kein „Rastel”, also wissen junge Leute auch nicht, was ein „Rastelbinder” sein soll. Haben Pferdefleischhauer und Handschuhmacher ihre Geschäfte dichtgemacht, weiß bald niemand mehr, was „Pepihacker” und „Pratzenschuaster” sind. Wer noch nie einen Ofen eingeheizt hat, kann mit „Aschentrücherl” nichts anfangen. Und meine Enkel rätselten beim Lesen einer Geschichte aus meiner Kindheit darüber, was „Schraubendampfer” auf dem Eislaufplatz tun. Die gehören doch, meinten sie, auf die Donau oder aufs Meer. Das wichtigste Rügewort meiner Kindheit, nämlich „urassen”, ist ebenfalls in Vergessenheit geraten. Mindestens einmal täglich hörte ich: „Tu net urassen!”
Aber den Tatbestand des „Urassens” gibt es nimmer, denn was meine Mutter als „urassen” rügte, ist heutzutage normales Verhalten. Ob ein Kind für eine Zeichnung ein Blatt Papier verbraucht oder einen halben Zeichenblock, spielt keine Rolle. Dass man „dem Tag nicht die Augen ausbrennen darf” oder das Licht abdrehen muss, so man einen Raum verlässt, ist in einer Zeit, in der alle elektronischen Geräte rund um die Uhr im Stand-by-Modus vor sich hin dämmern, kein Gebot mehr. Würde ich meinen Mann bitten, beim Erdäpfelschälen nicht zu „urassen”, sondern die Schale hauchdünn von den Knollen zu fitzeln, hielte er mich für meschugge. Und völlig unmöglich, dass jemand – so wie ich seinerzeit – als „Urasserin” gilt, weil sie jeden Tag eine frische Unterhose anzieht.
Wir reiben aus alten Semmeln keine Brösel, sondern horten sie für eine Freundin Pferd. Wir spülen Geschirr unter fließendem Wasser, statt im zugestöpselten Becken. Wir werfen Spielkarten, die nicht mehr flutschen weg, statt sie mit Federweiß glatt zu machen.
Meine Mutter würde in der Gruft rotieren, wüsste sie es, und den unter ihr ruhenden Ehemann würde sie fragen: „Hat das Madl alles verlernt, was ich ihr beibracht hab?”
Aber nein, liebe Mama! Dass man die Eiskastentür nicht unnötig lang offen lässt, daran halte ich mich. Echt nervös werde ich, wenn deine Urenkel vor geöffneter Kühlschranktür ewig lang hin und her überlegen, ob sie eher an einem Heidelbeer- oder einem Erdbeerjoghurt Interesse haben.
„Tür zu!”, würde ich dann am liebsten schreien. Tu ich aber nicht, denn heutige Omas halten sich da zurück und leiden stumm. Ist auch besser so. Mit autoritären Anweisungen soll man schließlich auch nicht „urassen”.
Kolumne von Christine Nöstliner aus Wien live Mai 06 unter alltagstücken
Zu einem guten Teil passiert diese „Verarumung” deshalb, weil es viel nicht mehr gibt, wofür der Wiener Dialekt ein passendes Wort parat hatte. Zu dem Kram, der sich heutzutage in einem Haushalt befindet, gehört kein „Rastel”, also wissen junge Leute auch nicht, was ein „Rastelbinder” sein soll. Haben Pferdefleischhauer und Handschuhmacher ihre Geschäfte dichtgemacht, weiß bald niemand mehr, was „Pepihacker” und „Pratzenschuaster” sind. Wer noch nie einen Ofen eingeheizt hat, kann mit „Aschentrücherl” nichts anfangen. Und meine Enkel rätselten beim Lesen einer Geschichte aus meiner Kindheit darüber, was „Schraubendampfer” auf dem Eislaufplatz tun. Die gehören doch, meinten sie, auf die Donau oder aufs Meer. Das wichtigste Rügewort meiner Kindheit, nämlich „urassen”, ist ebenfalls in Vergessenheit geraten. Mindestens einmal täglich hörte ich: „Tu net urassen!”
Aber den Tatbestand des „Urassens” gibt es nimmer, denn was meine Mutter als „urassen” rügte, ist heutzutage normales Verhalten. Ob ein Kind für eine Zeichnung ein Blatt Papier verbraucht oder einen halben Zeichenblock, spielt keine Rolle. Dass man „dem Tag nicht die Augen ausbrennen darf” oder das Licht abdrehen muss, so man einen Raum verlässt, ist in einer Zeit, in der alle elektronischen Geräte rund um die Uhr im Stand-by-Modus vor sich hin dämmern, kein Gebot mehr. Würde ich meinen Mann bitten, beim Erdäpfelschälen nicht zu „urassen”, sondern die Schale hauchdünn von den Knollen zu fitzeln, hielte er mich für meschugge. Und völlig unmöglich, dass jemand – so wie ich seinerzeit – als „Urasserin” gilt, weil sie jeden Tag eine frische Unterhose anzieht.
Wir reiben aus alten Semmeln keine Brösel, sondern horten sie für eine Freundin Pferd. Wir spülen Geschirr unter fließendem Wasser, statt im zugestöpselten Becken. Wir werfen Spielkarten, die nicht mehr flutschen weg, statt sie mit Federweiß glatt zu machen.
Meine Mutter würde in der Gruft rotieren, wüsste sie es, und den unter ihr ruhenden Ehemann würde sie fragen: „Hat das Madl alles verlernt, was ich ihr beibracht hab?”
Aber nein, liebe Mama! Dass man die Eiskastentür nicht unnötig lang offen lässt, daran halte ich mich. Echt nervös werde ich, wenn deine Urenkel vor geöffneter Kühlschranktür ewig lang hin und her überlegen, ob sie eher an einem Heidelbeer- oder einem Erdbeerjoghurt Interesse haben.
„Tür zu!”, würde ich dann am liebsten schreien. Tu ich aber nicht, denn heutige Omas halten sich da zurück und leiden stumm. Ist auch besser so. Mit autoritären Anweisungen soll man schließlich auch nicht „urassen”.
Kolumne von Christine Nöstliner aus Wien live Mai 06 unter alltagstücken
jewel - 7. Mai, 20:41
Wie zur Hölle spricht man urassen" aus?
Und wieso kann ich keine" Anführungeszeichen unten machen?
Urassen = Uuarassen.
Und die Anführungszeichen unten kann man am Mac mit einer netten kleinen Tastenkombination zwischen Alt und Shift und so machen. Das müsste bei Windows mit Alt und dem Nummernblock funktionieren. Und weil du heute einen guten Tag erwischt hast: Alt + 0132 ist Anführungszeichen unten, das dazu passende oben ist Alt + 0147.