Die Kultur der andauernden Blasphemie-Vorwürfe verweist auf ein grundlegendes Defizit des Islam: Der interreligiöse Dialog ist kein Schlachtfeld- ein
Kommentar der anderen von Ulrich H. J. Körtner
Man muss kein Anhänger Papst Benedikts XVI. sein, um die wütenden islamischen Proteste gegen einige Passagen seiner Regensburger Vorlesung über "Glaube, Vernunft und Universität" als ökumenische Herausforderung zu begreifen. Die Art und Weise, wie nicht nur schlecht informierte und fanatisierte Massen, sondern auch hohe Repräsentanten des Islam einmal mehr auf Kritik an ihrer Religion reagieren, gibt Anlass, die Prinzipien eines interreligiösen Dialogs zwischen Christentum und Islam zu überdenken.
Seine Kritiker werfen dem Papst vor, mit dem Mohammed-kritischen Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. Paleologos vom Ende des 14. Jahrhunderts ein Tabu verletzt zu haben. Wenn schon die Verwendung unbequemer historischer Zitate im Rahmen universitärer Vorträge als Beleidigung und Gotteslästerung aufgefasst werden, sind ernsthafte Zweifel am Dialogverständnis und an der Dialogfähigkeit des Gesprächspartners angebracht. Ein Dialog, der diesen Namen verdient, zumal im Rahmen der universitas litterarum, ist der Suche nach Wahrheit verpflichtet, mag diese auch unbequem sein. Voraussetzung jedes Dialogs sind zwar wechselseitiger Respekt der Gesprächspartner und gleiche Spielregeln für alle, aber keine Tabus.
Christen haben selbstverständlich keinen Grund und kein Recht, Mohammed und den Koran herabzuwürdigen. Wer aber von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugt ist, wird weder Mohammed für einen sakrosankten Propheten noch den Koran für eine göttliche Offenbarung halten. Und selbstverständlich haben auch koranische Vorschriften oder die Scharia für überzeugte Christen oder andere Nichtmuslime keine Geltung.
Manche Solidaritätsadressen, die es vor einigen Monaten auf christlicher Seite im so genannten Karikaturenstreit gegeben hat, waren gut gemeint, aber für einen ehrlichen Dialog schädlich. Was anderen heilig ist, muss mir selbst darum noch lange nicht heilig sein. Andernfalls würde die Unterwerfung des Gesprächspartners unter die Logik der jeweils anderen Religion zur Bedingung für den interreligiösen Dialog erklärt.
Das gilt übrigens analog für den ökumenischen Dialog unter den christlichen Kirchen. Bis heute sprechen die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen den protestantischen Kirchen ihr Kirchesein ab, weil deren Amtsverständnis angeblich wesentliche biblische Voraussetzungen nicht erfüllt. Das ist aus evangelischer Sicht verständlicherweise ein großes Ärgernis, was aber nicht verhindert, dass es seit Jahrzehnten einen gedeihlichen ökumenischen Dialog und ein gewachsenes Miteinander der getrennten Kirchen gibt.
Der Papst hat inzwischen sein Bedauern ausgedrückt, dass die umstrittenen Passagen seiner Regensburger Rede die Gefühle von Muslimen verletzt hätten und seiner Intention zuwiderlaufend interpretiert worden seien. Dieser Schritt ehrt ihn und kann als Akt diplomatischer Klugheit gewertet werden. Ob er einem offenen Dialog der Religionen förderlich ist, der sich unangenehmen Fragen und ihren Ursachen stellt, wage ich aber zu bezweifeln.
Die muslimische Kultur des ständigen Beleidigtseins und der dauernden BlasphemieVorwürfe verwechselt offenbar den interreligiösen Dialog mit der Fortsetzung des Djihad mit anderen Mitteln. Sie zielt in letzter Konsequenz darauf ab, den Gesprächspartner zum Dhimmi zu machen, das heißt zu einem Nichtmuslim, der sich den Gesetzen des Islam unterwirft. Einschüchterungsversuche aber sind das genaue Gegenteil eines aufgeklärten Diskurses.
Genau fünf Jahre nach dem Angriff islamischer Terroristen auf das Word Trade Center hat der ehemalige Theologieprofessor Josef Ratzinger an seiner früheren Wirkungsstätte einen akademischen Vortrag gehalten, in dem er begründet, weshalb jede Androhung und Anwendung von Gewalt in Glaubenssachen nicht nur der Botschaft Jesu, sondern dem christlichen Gottesverständnis überhaupt widerspricht. Die positive Begründung hat er bereits vor Monaten in seiner programmatischen Enzyklika " Gott ist Liebe" gegeben, die ökumenisch auf breite Zustimmung gestoßen ist.
Die im interreligiösen Dialog beliebte These, wonach alle Religionen unterschiedslos in ihrem Kern friedlich und tolerant seien, radikale und gewalttätige Abweichungen gar nicht mehr als Religion bezeichnet werden dürften, ist irreführend und verhindert gerade eine kritische Auseinandersetzung mit der allen Religionen eigentümlichen, jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägten Ambivalenz im Umgang mit der Gewalt.
Dass in Sure 2,257 steht: "Kein Zwang in Glaubenssachen", hat sich inzwischen allgemein herumgesprochen. Auch der Papst zitiert diesen Koranvers, allerdings nicht ohne den historisch korrekten Hinweis, dass diese Sure aus einer Zeit stammt, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Später kamen die hinlänglich bekannten Suren über den Djihad hinzu. Und Mohammed selbst wandte - erfolgreich - Gewalt an, um seinen Glauben auszubreiten. Das unterscheidet ihn nun einmal von Jesus von Nazareth und dessen Praxis der gewaltlosen Liebe, und eben darum hat sich das Christentum seit der Aufklärung in ganz anderer Weise selbstkritisch mit der eigenen - wahrlich unrühmlichen - Gewaltgeschichte auseinandersetzen können als der Islam.
Benedikt XVI. wirft die Frage auf, ob die Haltung des Islam und seines Propheten zur Gewalt ihre eigentliche Ursache in einem fragwürdigen Gottesbegriff hat, der Gottes Wesen als absoluten Willen definiert, der von reiner Willkür nicht zu unterscheiden ist. Diese Frage ist berechtigt. Zugleich erinnert der ehemalige Theologieprofessor Ratzinger allerdings daran, dass solch ein voluntaristisches Gottesbild auch in der christlichen Theologiegeschichte Anhänger gefunden hat. Konkret verweist er auf den Nominalismus im Spätmittelalter.
Das eigentliche Thema seiner Vorlesung ist die drohende Auflösung der Allianz von Glaube und Vernunft. Diese sieht er keineswegs nur durch Grundzüge des islamischen Gottesbildes, sondern auch durch Tendenzen in der säkularen Moderne gefährdet. Ein gewaltförderndes Verständnis von Religion ist für Ratzinger die Konsequenz der Enthellenisierung des Christentums bzw. Europas, die er - wenngleich in Begründung und Zielen unterschiedlich - in der Reformationszeit, in der protestantischen liberalen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts und in der spätmodernen Gegenwart am Werke sieht.
Darüber ist im Einzelnen zu diskutieren. Doch welcher Protestant käme auf die Idee, aus Ratzingers kritischen Anmerkungen zur Reformation und zum Neuprotestantismus einen ökumenischen Skandal zu machen und nach einer Entschuldigung zu rufen? (DER STANDARD, Printausgabe, 18.09.2006)
Zur Person: Ulrich H.J. Körtner ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien
(Quelle:
derstandard.at)